Marcel Risse ist in der Form seines Lebens. Mit seinem Kracher aus 34 Metern sorgte er für den ersten Derbysieg des 1. FC Köln bei Borussia Mönchengladbach seit acht Jahren und erzielte nach eigener Aussage "das emotionalste Tor seiner Karriere".
Einen ähnlichen Treffer gelang ihm vor wenigen Wochen im DFB-Pokal gegen die TSG Hoffenheim. Es wurde zum Tor des Monats gewählt. Mittlerweile hat Mittelfeldspieler vier Pflichtspieltore und fünf Vorlagen auf seinem Konto.
"Er ist ein Fixposten", schwärmte Trainer Peter Stöger kürzlich vom 26-Jährigen. Dessen derzeitige Topform ist kein Zufall. Der Kölner Profi hat viel dafür getan. "Seit ich mit Marcel Risse arbeite, hat er seine Entwicklung unheimlich vorangetrieben", sagt Stöger. Dabei geht Risse außergewöhnliche Wege. Seit Jahren arbeitet er mit einem sogenannten Sportmentor zusammen. Im Interview t-online.de spricht Risse über den Derby-Sieg und seine besonderen Trainingseinheiten, die auf den ersten Blick so gar nichts mit Fußball gemein haben.
Herr Risse, wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man am Sonntag aufsteht und weiß, dass man am Tag zuvor das Spiel des Jahres des 1. FC Köln mit einem Traumtor in der letzten Minute entschieden hat?
Marcel Risse: (lacht) Es ist nicht das schlechteste Gefühl.
Der 1. FC Köln liegt derzeit auf Rang vier, damit wäre man am Ende für den Europapokal qualifiziert. Wie erklären Sie sich den Höhenflug des Teams?
Es gibt bestimmt nicht nur den einen Grund, der alles erklärt. Wir sind eine Mannschaft, die sich über einen längerfristigen Zeitraum gefunden hat. Im Vergleich zur vergangenen Saison gab es nur wenige personelle Veränderungen. Unser Teamgeist beflügelt uns, die Atmosphäre in der Mannschaft ist richtig gut.
Ihre persönliche Leistungssteigerung führen Sie auch auf Ihre Zusammenarbeit mit einem Sportmentor zurück. Das ist ungewöhnlich. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ich habe vor Jahren mit Mentaltraining angefangen. Es ging am Anfang vor allem darum, meine negativen Gedanken, also was alles auf dem Platz schiefgehen könnte, loszuwerden. Mit meinem damaligen Mentaltrainer habe ich Konzentrationsübungen gemacht. Doch irgendwann habe ich festgestellt, dass es nicht an meiner Konzentration liegt, sondern an meiner Persönlichkeit, dass ich mir ständig so viele Gedanken mache. Also habe ich mich nach Alternativen umgeschaut und bin über einen Mitspieler auf den Sportmentor Sharon Paschke gestoßen.
Mentaltraining und Persönlichkeitsentwicklung sind Themenbereiche über die man im Fußball nicht so gerne redet, weil man schnell in die Psychoecke gedrängt wird. Woran liegt das?
Ich möchte nicht sagen, dass man gleich in eine bestimmte Schublade gesteckt wird, aber man wird definitiv als ‚anders‘ wahrgenommen. Viele Leute können sich einfach nicht vorstellen, dass man auf dem Platz bessere Leistungen bringen kann, wenn man auch seinen Kopf trainiert. Aber ich habe kein Problem damit, weil ich für mich selbst weiß, dass mich die Arbeit in diesem Bereich persönlich definitiv weiterbringt.
Wie kann man sich die Arbeit mit einem Sportmentor konkret vorstellen?
Wir treffen uns etwa alle zwei Wochen, telefonieren aber sehr oft. Mentaltraining ist weiterhin ein Bestandteil unserer Arbeit, der Fokus liegt aber ganz klar auf der Persönlichkeitsentwicklung. Es kommen viele Dinge auf einen jungen Menschen zu, die nicht speziell etwas mit Fußball zu tun haben, sich aber am Ende auf mein Spiel auswirken. Und da ist es für mich super, einen Ansprechpartner zu haben, der mir eine Lösung oder einen Lösungsansatz anbieten kann.
Können Sie ein Beispiel nennen?
In der Arbeit mit meinem Sportmentor haben wir entdeckt, dass es durchaus einen Zusammenhang zwischen meiner Persönlichkeit, daraus resultierenden Alltagserlebnissen, und meinen Verletzungen gibt. Eine sehr unangenehme und belastende Situation hat sich auch auf mein Fußballspiel ausgewirkt. Der Verlauf dieser Anspannung ließ meinen Körper reagieren und so kam der Zeitpunkt, es hat im Muskel zweimal ‚Bäng‘ gemacht, und ich hatte mir einen Muskelfaserriss zugezogen.
Um sich in diese Situation zu bringen, braucht man aber nicht zwingend einen Sportmentor.
(lacht). Das stimmt. Aber um stärker zurückzukehren und solche Situationen immer mehr zu minimieren, schon. Früher hatte ich deutlich mehr Muskelverletzungen. Damals hatte ich mich immer total reingesteigert. Ich war sauer, dass ich nicht spielen konnte. Geist und Körper waren nicht positiv gestimmt. Mittlerweile habe ich einen kompletten Perspektivwechsel vorgenommen. Ich kann der Verletzung auch etwas Positives abgewinnen. Mit dieser Einstellung und einigen mentalen Methoden, die ich aber für mich behalten möchte, gehe ich in die Reha und kehre fast immer schneller auf den Fußballplatz zurück, als es die Ärzte voraussagen.
Was verändert sich bei Ihnen durch das Persönlichkeitstraining?
Im Grunde ist es ganz einfach: Je besser ich mich als Person fühle, weil ich immer mehr im Einklang mit Familie, Freunden, Kollegen, meinem Körper, ja meinem gesamten Umfeld lebe, je mehr ich mich in meiner Persönlichkeit weiterentwickle, desto besser werde ich auf dem Platz. Hinzu kommt, dass meine Frau und ich seit einigen Monaten glückliche Eltern sind. Unsere Tochter bereichert unser Leben. Wenn ich mit mir im Reinen bin, schieße ich auch auf dem Platz bessere Ecken und Freistöße. Das ist einfach so. Und dabei hilft mir mein Sportmentor Sharon Paschke. Gut möglich, dass ich meine innere Mitte aufgrund der Lebenserfahrung im Alter von 40 oder 50 Jahren auch erreiche, doch für einen Profisportler ist das zu spät.
Wie wichtig ist dir mittlerweile die Zusammenarbeit mit einem Sportmentor?
Sehr wichtig. Ohne dieses Training wäre ich nicht da, wo ich im Moment bin. Mittlerweile kann ich mit Negativerlebnissen, die im Sport nun mal dazugehören, viel besser umgehen. Aber in Bezug auf Selbstvertrauen und Selbsteinschätzung habe ich auch noch Luft nach oben.
Sind Sie durch dieses besondere Arbeiten ein besserer Fußballer geworden?
Das ist so natürlich schwer zu sagen. Als ich angefangen habe, mit einem Sportmentor zusammenzuarbeiten, war ich verletzungsanfällig und kein Stammspieler in der Bundesliga. Ich bin dann von Mainz nach Köln in die 2. Liga gegangen. Dort entwickelte ich mich zum Stammspieler. Ich habe in den letzten Jahren einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Meine Entwicklung geht in die richtige Richtung und daran hat mein Sportmentor einen großen Anteil.
Würde diese besondere Art des Sportmentorings jeden Profisportler weiterbringen?
Na, klar! Jeden, der dafür offen ist. Aber nicht bei jedem ist das Thema Persönlichkeitsentwicklung der zentrale Punkt wie bei mir. Je nach Bedarf oder auch Lebenssituation kann man auch einen anderen Schwerpunkt legen. Zum Beispiel auf klassisches Mentaltraining. Für einen Einzelsportler ist die Arbeit mit einem Sportmentor allerdings sehr interessant.
Wie meinen Sie das?
Im Teamsport kann man persönlich ein gutes Spiel machen, aber wenn alle Mitspieler einen rabenschwarzen Tag erwischen, verliert man trotzdem. Im Einzelsport kommt es nur auf einen selbst an. Ich habe ja selbst festgestellt, welche Ressourcen man freisetzen kann, von denen man vorher keine Ahnung hatte, dass man sie überhaupt besitzt.
Wird Persönlichkeitstraining in Zukunft ein immer bedeutenderes Thema im deutschen Profi-Fußball?
Ich denke schon. Im US-Basketball hat heutzutage fast jeder Spieler einen persönlichen Mentor. Ich glaube zwar nicht, dass das im Fußball so krass wird, aber die Entwicklung geht in diese Richtung. In den Jugendmannschaften kommen die Talente viel häufiger mit Psychologen, Mentaltrainern oder eben Sportmentoren zusammen als früher. Somit wird auch die Bereitschaft dieses Thema in seine tägliche Arbeit als Profisportler zu integrieren immer größer.
24.11.2016| t-online.de